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Ein Beitrag von Stefan Diezinger
Wer schon einmal im Tourengebiet rund um Kaisers in den südwestlichsten Lechtaler Alpen unterwegs war, dem wird sicher schon ein markantes Gipfelpaar aufgefallen sein. Egal ob vom Kaiserjochhaus, von der Leutkircher Hütte oder von der Stuttgarter Hütte - irgendwann fällt der Blick auf einen mächtigen Gebirgsstock, der zwei ungleiche Gipfel trägt: Stanskogel und Vallesinspitze. Dominant baut sich dieses Bergmassiv südlich von Kaisers zwischen Almajur- und Kaisertal auf. Während die Vallesinspitze (oft auch Fallesinspitze geschrieben) aus dem üblichen Hauptdolomit-Bruch besteht, zeigt der Stanskogel mit scharfen, verwitterten Aptychenkalken und dunklem Schiefergestein einen ganz anderen Charakter. Verbunden sind die beiden Gipfel durch eine markante, vom Schiefergestein dunkel gefärbte Schneide: den "Schwarzen Grat".
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Was liegt beim Anblick dieser tollen Linie näher als eine Überschreitung von Stanskogel und Fallesinspitze über den Schwarzen Grat? Mehrere Jahre geisterte diese Idee schon durch unsere Köpfe, doch die Informationslage war dürftig. Die Führerliteratur spricht für den Grat selbst wortkarg von "III - brüchig und ausgesetzt". Die Südkante der Vallesinspitze wird im Groth-Führer sogar mit einer alpinen IV angegeben. Informationen im Netz gibt es ebenfalls kaum - da hilft nur eines: für alle Eventualitäten rüsten und selbst ausprobieren.
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Treffpunkt Kaisers und per Rad zur Bodenalpe |
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Anfahrt zur Bodenalpe durchs Almajurtal.
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Wir sind den Schwarzen Grat als Tagestour von Kaisers aus angegangen. Perfekter Ausgangspunkt ist der kleine Parkplatz zu Beginn des Almajurtals auf 1420 m. Man erreicht ihn, wenn man zwischen Kienberg und Kaisers an der Bushaltestelle rechts abzweigt und dem Fahrsträßchen einige Kilometer ins Tal und über den Kaiserbach folgt. Von hier aus starten wir mit dem Bike auf bequemer Schotterpiste ins Almajurtal zur Bodenalpe. Es sind zwar nur vier Kilometer Strecke und gute 100 Höhenmeter - aber am Ende des Tages werden wir froh sein, uns einen Talhatscher ersparen zu können. Gut 20 Minuten später sind wir dann auch schon am Bikedepot an der Bodenalpe auf 1.554 m angekommen.
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Aufstieg zur Leutkircher Hütte |
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Unterer Teil des Aufstiegwegs zur Leutkircher Hütte.
| Blick Richtung Schmalzgrubenspitze
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Oberer Teil des Aufstiegwegs zur Leutkircher Hütte.
| Leutkircher Hütte mit Weißschrofen- und Fallersteisspitze.
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Nun geht es zu Fuß weiter auf dem Zustiegsweg zur Leutkircher Hütte. Der Pfad ist stets problemlos und ausreichend sichtbar und markiert - ein klassischer Hüttenzustiegsweg eben. Nach etwa 90 Minuten stehen wir 700 Höhenmeter weiter oben auf dem Almajurjoch an der Leutkircher Hütte. Auch wenn sie noch geschlossen hat, ist die Terrasse ein idealer Ort für eine kurze Stärkung. Denn bisher war alles noch problemloser Zustieg, und weitere 500 Höhenmeter Aufstieg zum Stanskogel warten noch, bevor überhaupt erst die Herausforderungen des Schwarzen Grats beginnen.
| Blick von der Hütte ins Stanzertal und auf St. Anton.
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Nach der ersten Rast geht es auf den Stanskogel |
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Aufstieg zum Stanskogel.
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Auf dem Normalweg steigen wir, am Hirschpleiskopf vorbei, in einer Stunde unschwierig hoch zum Gipfel des Stanskogels auf 2.757 m. Obwohl wir schon früh im Jahr (Mitte Juni) unterwegs sind, ist der Schnee bis auf ein paar wenige Felder gut weggetaut. Steigeisen und Pickel können im Rucksack bleiben.
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Rückblick auf den gesicherten Teil des Normalwegs zum Stanskogel.
| Stanskogel Gipfel (2757 m)
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Überschreitung des Schwarzen Grats |
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Am Stanskogel-Gipfel beginnt nun der anspruchsvolle Teil der Tour. Vor uns liegt der Schwarze Grat in seiner ganzen Pracht. Wir steigen zunächst auf dem Schuttrücken relativ problemlos im Gehgelände den nördlichen Gipfelhang hinab zum Gratansatz. An den ersten Grattürmchen wird schnell klar, dass wir es hier mit dem wohl Brüchigsten zu tun bekommen, das die Lechtaler Alpen zu bieten haben. Der komplette Grat besteht aus verwitterten, meist senkrecht aufgestellten, splittrigen Schieferplättchen. Die Kletterschwierigkeiten halten sich in Grenzen, aber extrem vorsichtiges Bewegen ist angesagt. Jeder Tritt und Griff muss sorgfältig geprüft werden, hier kann man wirklich keinem Felsbrocken trauen.
| Schwarzer Grat und Vallesinspitze
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Unterwegs auf dem Schwarzen Grat.
| Thorsten im Grat
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Rückblick auf Schwarzen Grat und Stanskogel
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Es empfiehlt sich, den Grat immer auf der Schneide zu begehen - in den Flanken wartet nahezu senkrechtes, splittriges Bruchgelände. An einigen Stellen, an denen sich der Grat extrem zusammenschnürt, kommt man nur noch "reitend" über die Schneide. Einen Schönheitspreis gewinnen wir dafür nicht, aber es geht nicht anders. Dafür wartet zwischendurch auch wieder leichtes Gehgelände auf uns. Ein vernünftiges Sichern erscheint auf diesem Grat unmöglich - ist aber auch nicht wirklich erforderlich, denn die Kletterschwierigkeiten sind sehr moderat, eine III sucht man hier vergeblich. Ohnehin sollte in den Grat nur einsteigen, wer mit ausgesetztem Lechtaler Bruchgelände große Erfahrung und die passenden Nerven hat. Nach ca. 45 Minuten ist es dann auch schon geschafft - wir lassen den Grat hinter uns und stehen an der Südkante der Vallesinspitze. Wir wechseln vom Schieferbruch - in Hauptdolomit-Genussbruch. ;-)
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Vallesinspitze Südkante und Schlüsselstelle |
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Der Ansatz der Vallesin-Südkante ist ganz klar die klettertechnische Schlüsselstelle der Überschreitung. Wir entscheiden uns für einen relativ direkten Aufstieg (im AVF: "Mehmke-Variante"). Vom Ende des Schwarzen Grats klettern wir über zwei kleine Absätze zu einem schmalen Riss. Dieser zieht in einer Neigung von ca. 40 - 45° etwa 10 Meter nach oben und erweist sich als recht gut gangbar. Dieser Riss ist die klare Schlüsselstelle. Anders als der AVF würden wir ihn aber nicht mit IV, sondern mit III+ bewerten. Wenn der Riss endet, steigt man rechts ca. einen Meter auf ein Band ab, welches nach wenigen Metern in einem Kamin endet, der nach links oben zieht. Da wir nur ein 30m-Seil dabei haben, bauen wir hier unseren ersten Stand. Dem Kamin folgen wir anschließend nach oben und landen nach ca. 6 - 8 Metern auf einem Absatz. Hier zweiter Stand und Ende der Seilsicherung. Die klettertechnischen Hauptschwierigkeiten sind damit geschafft. Die komplette Mehmke-Variante lässt sich mit Schlingen und großen Friends relativ gut absichern. Gebohrt ist hier natürlich nichts. ;-)
| Südkante und Schlüsselstelle
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Südkante Mehmke-Variante (beschriftet)
| Südkante Mehmke-Variante
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Vallesin-Massiv
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Nach dem zweiten Stand geht es seilfrei in Original Lechtaler Hauptdolomit-Genussbruch die Südkante hoch. Wir verlassen unseren Standplatz in leichter Kletterei nach schräg rechts oben, um nach wenigen Metern schuttiges Gehgelände zu erreichen. Es folgt etwas IIer-Kletterei, dann stehen wir auf der nächsten Schutthalde. Direkt vor uns stellt sich ein zweiter Aufschwung in den Weg - den kann man aber ganz einfach links im Schutt umgehen. Will man ihn direkt erklettern, was wir z.T. versucht haben, landet man ganz schnell wieder im IIIer-Gelände. Weiter geht's - wir halten uns immer etwas links unterhalb der Gratschneide und kommen so dem Südgipfel ohne Probleme näher. Auch der Südgipfel selbst, der von weitem noch recht unnahbar wirkt, lässt sich relativ unspektakulär über eine schuttige Rampe ohne größere Kletterei besteigen.
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Der zweite Aufschwung (beschriftet)
| Der zweite Aufschwung
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Südgipfel und Übergang zum Hauptgipfel |
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Vallesin Südgipfel (beschriftet)
| Vallesin Südgipfel
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Nun stehen wir auf dem Südgipfel, den nur ein Steinmann schmückt, und blicken auf den nahen Hauptgipfel. Der Übergang sieht von hier relativ krass aus. Aber so kurz vor dem Ziel geben wir natürlich nicht auf - bei näherem Hinsehen lösen sich alle Schwierigkeiten in Wohlgefallen auf. Wir steigen vom Südgipfel in einem Kamin nach Norden zum Verbindungsgrat ab und folgen dem Grat zum Hauptgipfel.
| Gipfelaufbau der Vallesinspitze vom Südgipfel
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Übergang vom Süd- zum Hauptgipfel.
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Irgendwann stellt sich ein Überhang in den Weg - hier steigen wir über ein Schuttband wenige Meter links ab und queren hinüber zu einer "Super-Rippe" (O-Ton Thorsten), über die man in wenigen Minuten in wunderschöner einfacher Kletterei direkt auf den Hauptgipfel gelangt. Gut zwei Stunden nach Verlassen des Schwarzen Grats haben wir den Gipfel der Vallesinspitze erreicht - durch die Seilsicherung haben wir doch ordentlich Zeit verbraten.
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Gipfelglück und Abstieg |
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Das massive Gipfelkreuz der Vallesinspitze stammt aus dem Jahr 2000 und wurde von einem Einheimischen gezimmert. Im Gipfelbuch - ebenfalls aus 2000 - finden wir kaum Hinweise auf den Schwarzen Grat. Die letzte dokumentierte Überschreitung war vor vier Jahren (2010). Die meisten der wenigen Besucher kommen über den Normalweg vom Nordwestrücken hoch. Mit ihren 2769 Metern bietet die Vallesinspitze sicher ein geniales Panorama - davon sehen wir leider nichts, wir stecken ziemlich in Wolken.
| Glücklich auf dem Hauptgipfel der Vallesinspitze (2769 m) angekommen
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Die Kletterei ist für heute geschafft, nun liegen noch 1.200 Höhenmeter Abstieg zur Bodenalpe vor uns. Auf dem Nordwestrücken geht es relativ bequem und zügig über eine gigantische Schutthalde nach unten. Dabei folgt man einer meist gut sichtbaren Pfadspur, die hin und wieder auch durch Steinmänner markiert ist. Erst im unteren Bereich des Abstiegs, wenn man die Latschenzone erreicht, wird die Orientierung anspruchsvoller, da sich die Pfadspur hin und wieder verliert. Doch auch hier zeigen einem nach sorgfältigem Suchen einige wenige Steinmänner den richtigen Weg. Bis zu einer Waldlichtung führt einen der Pfad relativ zuverlässig nach unten, dann verliert er sich. Hier hält man sich absteigend am besten stets ziemlich links in Richtung des Fallesinbachs. Dann hat man auch relativ bald die Jagdhütte auf 1698 m erreicht. Von der Jagdhütte führt ein Steig über die letzte Steilstufe nach unten zum Fallesinbach. Eine letzte "Kletterei" über die Schuttmoräne des Bachs, und wir stehen wieder bei unseren Bikes an der Bodenalpe. Nach der verdienten Einkehr rollen wir mit den Bikes in wenigen Minuten talauswärts zum Parkplatz und beschließen einen eindrücklichen Tourentag.
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Fazit |
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Der Schwarze Grat ist sicherlich keine Plaisirkletterei. Wer sich jedoch auf ausgesetzten, brüchigen Graten wohlfühlt und dabei auch vor brüchigstem Gestein nicht zurückschreckt, auf den wartet zwischen Stanskogel und Vallesinspitze eine der eindrücklichsten Gratüberschreitungen der Lechtaler Alpen - mit Genussbruchgarantie. ;-)
Zum Schluss: ein herzlicher Dank an Gipfelstürmerin Janina, die uns vom Stanskogel aus nicht nur Paparazzo-mäßig gefilmt, sondern auch über Funk perfekt durch die Südkante gelotst hat.
| Gehzeiten im Überblick
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