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Datum: 20.09.2004 22:44Von: Kristian Rath
Ich habe in Karl Schotts Buch "Lechtaler Impressionen" eine interessante Chronik zur Freispitze gefunden.

Text folgt als ocr Scan.


Karl Schott
Chronik der Freispitze

Die Erstbesteigungsgeschichte
Der »Kleine Führer durch die Lechtaler Alpen« (Rogister/
Groth, 1968, Bergverlag Rudolf Rother) schreibt kurz und
bündig:
»Freispitze, 2887 m. Durch Form und Aussicht berühmt!«
Soweit bekannt, hat es bisher noch niemand unternom-
men, die Ersteigungsgeschichte dieses markanten Lech-
tal-Gipfels zu schildern, der bereits im Jahre 1774 in der
berühmten Tirol-Karte von Peter Anich als »Freyspitz«
erscheint.
Das Jahr der Erstbesteigung ist - wie bei den meisten
Lechtaler Gipfeln - unbekannt, da die zugänglichen
Berge, noch ehe die Touristen kamen, längst von Gems-
schützen, Hirten oder Wildheuern bestiegen waren, die
aber davon nichts niederschrieben.
Als Erstbesteiger der kühnen Freispitze gilt Anselm Klotz
aus Stockach, der erste Lechtaler Führer - 1885 vom
Alpenverein autorisiert. Es muß vor 1875 gewesen sein,
dem Jahr, als er mit Hofmann (München) den Parseierals
erster, aus dem Lechtale kommend, bestieg und dabei
von dieser Freispitz-Ersteigung erzählte.
Klotz deutete übrigens den Bergnamen wie folgt: Bei der
Vermessung in den Jahren 1818-1820 hätten alle bedeu-
tenden Gipfel Signale bekommen, nur der schwer zugäng-
liche Freispitz sei »frei« von einem Signal geblieben!
Die zweiten Bergsteiger (19.8,1878), Dr. Anton Sattler aus
Wien, mit dem genannten Führer Klotz (vulgo »Koaserle«),
benützten den Weg des Erstbesteigers: die steilen Gras-
hänge aus dem Alperschontal. Die Gehzeiten der beiden:
1.45 Uhr ab Bach (Lechtal), 8.30 Uhr am Gipfel, Schnann
im Stanzertal an 3.30 Uhr!
Die »zweite touristische« Besteigung - so wurde damals
gewertet - verbuchte dann der Memminger Erschließer-
könig der Lechtaler Alpen, Anton Spiehler, ebenfalls mit
Klotz (1881). Dabei maß er die Neigung der Grashänge mit
durchschnittlich 45°, an den steilsten Stellen bis 60°. Steig-
eisen waren ihnen eine gute Hilfe. Bei diesem Berggang

entschied sich übrigens der zukünftige Standplatz de
Memminger Hütte, denn das Parseiertal schied - ange
sichts des schlimmen Zugangs aus diesem Tal zur Fre
spitze - aus (Klotz: »dort kommt man nicht durch, mai
braucht eine Leiter wie an einem Kirchturm!«). In de
Bücherei DAV Memmingen kann man noch heute dei
verwaschenen Text der Gipfelaufzeichnungen von Spieh
ler nachlesen.
Wegen der fehlenden »Kirchturm-Leiter« mußte soga
Ludwig Purtscheller an der Freispitze kapitulieren, als e
an einem Tage und allein Wetterspitze, Feuerspitze, Rot
spitze und Rotplatte stürmte und vordersteilen Südwant
»abdrehen« mußte.
Doch 1898 fand endlich Martin DraxI (»Lipple«) die schwa
ehe Stelle der Freispitze-Südwand, als er einen Gamsbocl
mitten durch die Wand »eilen« sah und ihm flugs nach
kletterte. Ein Jahr später führte dann »Lipple« den Inns
brucker Karl Steininger über den neuen Weg.
Das gleiche Gespann stieg 1903 durch die äußers
brüchige Südostflanke des Berges aus dem Parseie
Grieß; Steininger: »Wer hier gleitet, hat die Leiden de
Welt hinter sich!« Derselbe »Lipple« soll sogar, mit einen
Gamsbock im Rucksack (!), die Nordwand des Berge
durchstiegen haben, 1907 oder 1908 (Aufstieg oder Ab
stieg?), schreibt Walther Flaig im Tourenbuch der Mem
minger Hütte.
Mit Walther Flaig, damals Stuttgarter, ist die Nacherschlie
ßung der Freispitze eng verbunden, denn 1920 beging e
wohl als erster (allein) den Ostgrat mit Jägerrücken ii
12 Stunden Gesamtzeit von der Memminger Hütte un(
zurück zum Ausgangspunkt. Damit war die großzügigst«
Gratkletterei am Berg eröffnet. Außerdem entdeckte e
den direkten Zugang zu unserem Berg von der Memmin
ger Hütte, die steile Freispitz-Scnarte, mit dem »Erdigei
Grat« aus dem Parseier Grieß. Mit seinem Landsmani
0. Häfele durchkletterte Flaig auch noch die Nordwan<
der Freispitze. Kletterpatschen, Steigeisen und Eispicke
kamen bei dieser kombinierten Fahrt zur Anwendung
»Die Kletterei ist fast nie leicht, immer aber heikel!« (Flaii
im Tourenbuch der Memminger Hütte.)
In diesem Tourenbuch steht auch der Bericht über di<
erste Begehung der Südostwand des Berges. Ernst Paulu
und Bärbel Preißler(Nürnberg) stiegen vom 7. bis8.8.192!
durch den 600 m hohen Absturz. Sie trafen schwierigi
bis äußerst schwierige Kletterstellen in gutem Gestein ar
Als ihre Nachfolger fanden Karl-Heinz Walz und K. Schot
im Juni 1967 noch 2 oder 3 Haken, die beschriebene!
Steinmänner von damals nicht.
Schließlich fehlte nur noch die Wintererstbegehung die
man wohl dem Augsburger Rolf von Chlingensperg zu-
schreiben kann. Chlingensperg stieg an Weihnachten
1939 mit seiner Frau und einem Freund vom Lechtal zum
Appenzeller Kar auf, benützte bis zum Dreischartle
(P. 2558 m der AV-Karte) die Ski und erreichte am Abend
den Gipfel über den \\cf1 estgrat. Im April 1958 folgten
Erhard Scholaster und K. Schott derselben Route Sie
konnten sich davon überzeugen:
a) die Freispitze ist von dieser Seite (Alperschontal - Ao-
penzeller Kar) auch ein »Skiberg«
b) dieser Anstieg dürfte auch im'Sommer der leichteste
und kürzeste sein.
(Neuere Erschließung des Berges siehe »Neutouren-Doku-
mentation«!)
Bis heute ist die Freispitze ein Berg wie zu Zeiten der
alpinen Pioniere geblieben, denn außer dem Gipfelkreuz
und -buch ist er unberührt wie je - keine Markierung
kein Weg.ja nicht einmal eine Wegspur im Geröll begegnet
hier dem Bergsteiger. »Schuld« daran ist wohl daß der
Weg von der nächsten AV-Schutzhütte Ansbacher Hütte
lang und über zwei weitere Gipfel (Rotspitze 2841 m Rot-
platte, 2841 m) führt und auch sonst der Gipfel von keiner
Seite leicht zu »machen« ist.
Jüngste Erschließung an der Freispitze -
die Südwand
Begeht man den AV-Weg Ansbacher Hütte - Memmin-
ger Hütte, so fallt dem Bergwanderer besonders die
gewaltige Plattenflucht der Freispitze-Südwand auf Da
die etwa 450 Meter hohe und 600 Meter breite Wand von
keiner Hütte eingesehen werden kann, konnte sie ihre
Jungfräulichkeit bis in unsere Jahre hinein bewahren
Doch im Jahre 1966 und 1967 machten die Allgäuer Peter
Heel und Manfred Schreck (1969 Eiger-Nordwand) die
ersten Erkundungen an der Wand, die sich im besten
Oberratkalk aus dem Parseier Grieß aufsteilt Der Einstieg
befand sich dort, wo der Schnee am höchsten die Wand
hinaufreicht. Etwa eineinhalb Seillängen wurden damals
begangen.
1968 mit Sommerbeginn wurde der Anstieg weiter nach l
rechts (östlich) verlegt. Der Fels ist äußerst kompakt Um •
größtmögliche Sicherheit in die Route zu bringen